Sonntag, Oktober 25, 2009

FSSPX und so

ZUSAMMENFASSUNG (ich neige ja zum Schwadronieren):
Die FSSPX ist mir eigentlich recht willkommen. Sie brauchen auch keine glühenden V2-Verehrer zu werden, die JOHN PAUL TWO - WE LOVE YOU skandieren, sie sollen nur akzeptieren, daß es das Zweite Vatikanum und die Liturgiereform gibt und beides nicht falsch ist. Ich denke (und das hat mir ein FSSPX-Vertreter gesagt), daß es für die Texte des Zweiten Vatikanums Lesarten gibt, die der FSSPX eher entsprechen und mit denen sie sich konstruktiv und gewinnbringend als etwas traditionellere Kraft in die Kirche einfügen würden. Aber: Einfügen, nicht Umwerfen - so lautet die Devise in der Kirche.


Nun der eigentliche Text (ich habs mal Marke Paper mit Abstract und danach langem Gerede probiert):

Nun bald fangen - gottlob - die Sondierungsgespräche zwischen der Piusbruderschaft und der Glaubenskongregation an. Darüber - oder allgemein die Piusbruderschaft - wird vielerorts diskutiert, zum Beispiel bei Bloggerkollegin Elsa, bspw. hier . Es mag der Eindruck entstanden sein, daß es mir dabei primär um die FSSPX geht, aber da hat man mich falsch verstanden bzw. ich mich falsch ausgedrückt. Ich sorge mich nicht um die Piusbruderschaft, sondern um die Kirche, weshalb ich nun auch die Gespräche interessiert verfolgen werde!

Letztlich erwarte ich von Herrn Fellay etc. gar nicht, daß sie auf einmal die großen JP2- und Konzilsliebhaber werden. Das kann man von einer Gruppierung von Leuten, die sicherlich ihre Gründe hatten, das Konzil abzulehnen, nicht von heute auf morgen erwarten. Was ich jedoch erwarten würde, wäre wenigstens eine Äußerung, daß sie sich mit dem Konzil und dem Lehramt der darauf folgenden Päpste befassen werden. Aber selbst wenn das nicht kommt - das ist nicht der Grund, warum ich derart hinterher bin.

Was mich langsam wirklich sorgt, ist, wie die Kirche damit umgehen wird. Wenn die Gespräche mit der FSSPX fertig sind, wird das auch eine Selbstdefinition der Kirche zum Konzil etc. sein. Und wenn nun daraus wird, daß man es mit dem Konzil und dem Lehramt der darauf folgenden Päpste wie ein Dachdecker halten kann, wenn man nur alle Tradition vorher akzeptiert, dann können die werten Herren Blogger von NLM etc. von der Hermeneutik der Kontiniutät noch zehnmal sprechen - dann ist hier ein Bruch geschehen, indem man nämlich die Geschichte der letzten vierzig Jahre ungeschehen machen will.

"Das ist unrealistisch"? Na ja, so viel ereifernde Sympathie mit einer Gemeinschaft, die eben die real existierende Kirche, in der sich viele von uns trotz aller Widerfahrnisse doch zuhause fühlen PER SE als Irregeleitet hält, wie man sie unter doch angeblich Kirchentreuen Katholiken findet - gepaart mit einer bissigen Polemik gegen Mitglieder des Episkopats... da fragt man sich doch die Gretchenfrage:
Wie haltet ihrs denn mit dem Konzil? Sich hier jetzt mit der absolut peinlichen Petition Vaticanum rausreden bringts nich, nicht alle, die das Zweite Vatikanum und das Lehramt von Paul VI., Johannes Paul I. und vor allem Johannes Paul II. wichtig finden (und es gerade in diesen Tagen betonen!), sind automatisch Frauenpriesterinnen, die Dönerfladenschwingend mit der Freundin des ansässigen Priesters durch Linz marschieren. Ich kenne gerade auf charismatisch-katholischer Seite Christen, dessen Eifer fürs Evangelium wahrscheinlich einige von uns weit, weit in den Schatten stellen würde - jedenfalls mich läßt er sehr kleinlaut werden. Und dieser Eifer, dieser lebendige Glaube an die Realpräsenz des Herrn in der Eucharistie ist da TROTZ Klampfen und Handkommunion. Es ist nicht mein Weg - diese Lobpreisliedchen finde ich widerlich - aber ich werde der Allerletzte sein, der diesen Christen die Daseinsbereichtigung in der Kirche abspricht.
Und ja - ich bin ein Freund der ordentlichen Form des römischen Ritus. Ich ziehe sie der außerordentlichen Form trotz aller Linzer Pseudomessen vor (daß ich die außerordentliche Form den Linzer Pseudomessen vorziehe, brauche ich hoffentlich nicht extra zu erwähnen). Jedoch sehe ich in der außerordentlichen Form nicht nur eine eine "auch gültige" Form der Messe, sie bietet die Basis für eine wunderschöne Bereicherung des liturgischen Lebens jeder Gemeinde. Aber die Akzeptanz, die ich dem außerordenlichen Ritus entgegenbringe erwarte ich auch umgekehrt. Inzwischen scheint man jedoch der Meinung zu sein, daß ein Katholik, der es etwas ernster mit dem Glauben meint, die Alte Messe doch (Latein, Choral etc.) bevorzugen müsse - und sorry, da brauch man nicht noch eine Gemeinschaft, die hier eine noch militantere Meinung vertritt.

Es wird noch eine noch realistischere Sorge, wenn man übelegt, daß die FSSPX nun schon vor den Gesprächen in Lourdes zelebrieren darf und die Bischöfe, die die Priesterweihen mitte dieses Jahres nicht guthießen, mit Schimpf und Schande beladen wurden. Anscheinend braucht es keine Akzeptanz eines Konzils, um die eifrige Begeisterung eines papsttreuen Katholiken zu erhalten.

Donnerstag, Oktober 22, 2009

My Way bei Beerdigungen und andere Greueltaten auf Gottes Erde.

Geistlicher beklagt zu viele weltliche Lieder bei Beerdigungen .

Da hats mir etwas die Sprache verschlagen und ich muß sagen, daß mir hier auch das Einfühlungsvermögen fehlt (EDIT: Ich finde, daß dem Geistlichen das Einfühlungsvermögen fehlt). Oder zumindest die richtige Taktik, denn man kann beides - ein weltliches Lied und eine geistliche Beerdigung - miteinander verbinden, wenn man es denn clever macht.
Als meine Mutter starb, standen wir Katholen (sprich mein Vater, mein Bruder und ich) vor dem Problem, daß erstens meine Mutter wünschte, daß "Seasons in the Sun" auf ihrer Beerdigung laufen sollte (hier komme ich noch auf einen Punkt von wegen "Glaube an Auferstehung bleibe auf der Strecke), zweitens die Ungläubigen/Gläubigen-Quote ca 50/50 stand (wenn ich es mir recht überlege: Nicht mal das); vor allem der Lebensgefährte meiner Mutter nicht religiös war. Ja, ich weiß, hier geht es nicht um weltlichen Gefallen etc. - aber man muß meiner Meinung nach schon dafür sorgen, daß jeder von einer Trauerfeier einen Funken Hoffnung mitnehmen kann. Und damit man die Herzen öffnet, kann man auch zwei Schritte - nicht den ganzen Weg - entgegen gehen.
In unserem konkreten Fall hieß das, daß nach der Versammlung in der Kapelle von einer langjährigen Freundin (und meines Vaters - ja, und meines Bruders und mir) einige Worte gesprochen wurden - ich muß gestehen, ich weiß gar nicht mehr, ob noch jemand ein "weltliches Gedächtnis" gestiftet hat -, dann wurde dieser weltliche Part mit Seasons in the sun abgeschlossen, worauf die katholische Trauerfeier begann.
Damit waren alle zufrieden. Die Katholen hatten eine würdige, christliche Trauerfeier (mit einer sehr schönen Predigt übrigens), die Atheisten und Agnostiker hatten zuvor einige Worte des Gedächtnisses. Auch die zeitliche Abfolge hat mir gefallen; daß nach dem weltlichen Gedächtnis der Hinweis auf etwas, was über dieses Gedächtnis hinausgeht, vorhanden ist. Ich weiß von den nicht gläubigen, daß die Worte des Priesters und der ganze Ritus sie tief berührt hat. Und, plump gefragt: was will man (erstmal) mehr?
Mit der Erinnerung im Hintergrund finde ich das, was der Priester sagte, einfach nur nicht durchdacht und, falls das doch durchdacht war, herzlos. Einer Trauergemeinde dann zu sagen "Nein, meine Lieben, es ist mir sch***egal, was die Verstorbene Person auf dem Totenbett hören wollte, ich spiele nun Dies Irae" ist ein pseudo-rechtgläubiges Pharisäertum, was den Menschen vollkommen übersieht. Sicher, das allererste Gebot ist das der Gottesliebe, aber das zweite Gebot (Mt 22,39) genau so wichtig. Aus der Gottesliebe erwächst uns die Pflicht der Nächstenliebe, was im konkreten Fall bedeuten kann, daß man nicht in einem Anfall von Orthodoxie eine Trauergemeinde anranzen muß, sondern daß man überlegt, wie weit man ihnen entgegengehen kann (wie viele Meilen man mit ihnen gehen kann, nicht?).
Nebenbei gesagt: Die Wünsche des Verstorbenen zu beachten betreffs die Liedwahl bei der Beerdigung, und sei es Bushido - Berlin, ist wohl eines der einfachsten Zeichen dafür, daß irgendetwas an Glauben an ein Leben nach dem Tod vorhanden ist. Denn man erfüllt den Willen der Toten, als würden diese noch leben, ja, man hat ein schlechtes Gewissen, wenn man dies nicht tut. Wenn ich Seasons in the sun höre, denke ich an meine verstorbene Mutter, wie sie es - so Gott will (was ich doch hoffe!) - in den Himmel geschafft hat und bin erfüllt von der Hoffnung, sie einst wieder zu sehen. Da brauche ich kein christliches Lied dafür.

Mittwoch, Oktober 21, 2009

Schreibblockaden, Sorgen und Englisches Versagen

Sodele, nu wurden doch mal Messungen in meinem Labor aufgenommen und insgesamt hat sich was daraus entwickelt. Zwar für einen Kritikaster wie mich noch zu wenig und noch keine Messungen am System CH4/MgO, aber freuen tu ich mich trotzdem. Es ist einfach schön zu sehen, daß es was zu messen gibt. Der Stein wurde halt ins Rollen gebracht.
Na ja, und da die ersten Messungen mit den ersten Ergebnissen Hand in Hand gehen, wird nun offiziell seit heute auch das erste Paper geschrieben (was auf jeden Fall mega-awesome ist). Und hier merke ich, daß erstens ich in Sachen Englisch etwas krüppelig bin und zweitens geht es mir hier so wie es mir vor meinem IMPRS-Vortrag, vor einem semiprivaten Talk, den ich hielt oder beim Schreiben meiner Diplomarbeit ging: Ich finde dann oft, daß das, was ich sagen will, deutlich mehr Messungen erfordert, daß zu wenig Konsistenz vorliegt.
Kurz und gut: Meine Unsicherheit schlägt gerade wieder etwas zu. Betet doch mal wieder für mich und meine Wissenschaft.


Was heißt meine? PRAY FOR SCIENCE! Das ist doch mal ein Motto!


P.S.: Als alter Mathematica-Fan hab ich nun ein kleines Wolfram alpha-Applet eingefügt.

Dienstag, Oktober 20, 2009

Welcome home, pals!

Ich rede natürlich über die Anglikaner

Was wohl Lewis und Tolkien dazu sagen würden....

Sonntag, Oktober 18, 2009

Kain und Abel

Ich kann mir nicht helfen, irgendwie erwische ich mich seit Jahren - eigentlich, seit ich als erstes von Kain und Abel gehört hatte - dabei, mit Kain Mitleid zu haben. Mir geht es ähnlich bei der Geschichte um Jakob und Esau, aber das ist ein leicht anderes Thema (immerhin hat Esau zwei Hethiterinnen geheiratet und sein Erstgeburtsrecht verkauft, außerdem wurde er wenigstens von einem anderen Volk der Stammvater).

Was ich meine, ist die Geschichte VOR dem Mord bzw. wie diese Geschichte ausgelegt wird. Kains großer Fehler scheint zu sein, daß er schnöder Ackermann wurde und nicht cooler Hirte. Jedenfalls scheinen viele Heilige (und Paulus und Johannes) in Kain schon vor dem Mord einen bösen Menschen zu sehen, einen ungerechten, der dann eben den gerechten Diener Abel umgebracht hat.

Ich weiß gar nicht, ob die Geschichte, jedenfalls in der Form, wie ich sie kenne, so hergibt: Auch Kain opfert Gott etwas, und zwar von den Früchten Seiner Arbeit - analog zu Abel, nur, daß die Früchte des Feldes dem Ackermann eher zugänglich sind als ein Lamm. Gott blickt jedoch versöhnlich auf Abels Opfer - nicht auf Kains, wendet sich aber im Moment der Eifersucht, freilich mahnend, aber meiner Meinung nach väterlich Kain zu:
"Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? Ist's nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben."
Er erkundet sich nach seinem Befinden und sagt ihm, daß er froh dem Blick erheben solle, wenn er fromm ist, AUCH WENN (so interpretiere ich das) GOTT SEIN OPFER NICHT ANNAHM.

Letztlich lehrt diese Geschichte doch mir und vielen anderen Menschen, die sich immer zu kurz gekommen fühlen, eine wichtige Lektion: Das Leben kann auf den ersten Blick ungerecht aussehen. "Hey, ich hab auch geopfert, wieso erhalte ich nicht den Lohn des anderen?" Die Lösung der Kinder Gottes ist jedoch nicht die Eifersucht und schon gar nicht der Mord, sondern weiterhin Gott zu lieben, eben OHNE sofortige Gegenleistung zu erwarten. Und dann - so Gottes Verheißung - wird man frei den Blick erheben können und sich nicht durch Eifersucht und Haderei blenden lassen.

Diese Gedanken können falsch sein. Der Hl. Paulus und der Hl. Johannes waren anscheinend der Meinung, daß Kain schon vor dem Opfer ein ungläubiger Halunke war. Eigentlich wollte ich die werten Herren Exegeten fragen, wo man einen Hinweis auf diese Bosheit vor dem Opfer finden kann.

Was ist...

... eigentlich aus den Memes geworden?

Wie ich darauf gekommen bin? Ich habe nach einem Händler gesucht, der mein erstes Lesebuch EVAR (d.h. "Meine Liebe Fibel") verkauft, die bildersuche angeklickt... UND HABE MEINEN BLOG GEFUNDEN bzw. einen Verweis auf ein Post, in dem anscheinend die Stringkette "Meine Liebe Fibel" vorkam und ein bild von Catherine Zeta-Jones. Truth is stranger than fiction, as I would say.

Jedenfalls: Es war eines der Memes, die bis vor ca einem Jahr desöfteren durch die Blogozese huschten. Wat is aus den geworden?

So, ich werde nun erstmal kochen und vllt einen weiteren Film meiner Godzilla-Millenium-Edition gucken.


Der Monstertrash von gestern mit den Effekten von heute. Awesomest, vor allem, wenn Godzilla ein Monster durch die halbe Stadt wirft.

Dienstag, Oktober 13, 2009

Chauvinismus ist manchmal eine Lösung.



Miss Silverman jedenfalls sollte in der Küche stehen und die Klappe halten.

Seriously, das ist auf dem Niveau von Save a cow - eat a vegan.

Donnerstag, Oktober 01, 2009

Gastbeitrag - Lebensschutz. Moraltheoretische Bemerkungen (Josef Bordat)

Heute ist es mir eine besondere Ehre, einen Gastbeitrag hier zu präsentieren. Und zwar von keinem Unbekannten in der Blogozese, sondern jobo72 , er auf seinem eigenen Weblog nun schon seit einiger Zeit sehr interessante Beträge zu philosophischen Themen bietet und mit sehr lesenswerten Beiträgen diesen Weblog in der Vergangenheit bereicherte. Aber genug der Vorrede, steigen wir gleich ein:


Lebensschutz. Moraltheoretische Bemerkungen

von Josef Bordat


In „Ethik für heute“, meinem neuen Buch, das (hoffentlich!) bald erscheinen wird, vertrete ich eine christliche Lebensschutzethik, die den (konsequentialistisch belasteten) Begriff der Verantwortung angesichts der großen Herausforderungen des 21. Jh. zu rehabilitieren versucht; der Untertitel lautet: Moraltheoretische Überlegungen zu Terrorismus, Menschenrechten und Klimawandel. Dazu hier einige thesenartige Gedanken mit Verweisen auf weiterführende Texte im Netz. Vgl. zum Begriff „Verantwortung“.


I.
Anthropologischer Ausgangspunkt der Ethik des Lebensschutzes ist das christliche Menschenbild. Kerngedanke des christlichen Menschenbildes ist die Geschöpflichkeit des Menschen im Bilde und nach dem Bilde Gottes. Die Gottebenbildlichkeit ist in einer analogia relationalis gegeben. In der Folge von Gen 1, 26 spiegelt sich die innertrinitarische Bezogenheit Gottes in der Bezogenheit des Schöpfers zum Geschöpf, sie äußert sich in der Beziehung Gottes zum Menschen. Ferner ist der Mensch als geschaffenes Ebenbild Gottes von seinem Ursprung, seinem Wesen und seiner Zielbestimmung her nicht eigenbestimmt, seine Würde ist eine dignitas aliena, eine „fremde Würde“. Die Würde des Menschen kommt als „fremde Würde“ von Gott, sie ist das „Echo“ auf die Gottebenbildlichkeit (Honnefelder). Die Unantastbarkeit der Würde hat damit einen „Preis“: Die Bindung des Menschen an Gott. Daraus erwächst seine „Verantwortung vor Gott“, auf die in der Präambel unseres Grundgesetzes verwiesen wird. Vgl. zum christlichen Menschenbild: Das Christliche Menschenbild - eine ganz kurze Einführung


II.
Ihrem Wesen nach ist die Lebensschutzethik universalistisch, absolutistisch, gesinnungs- oder haltungsorientiert und prinzipienbezogen. Sie kennt ewige, absolute Werte bzw. Wertmaßstäbe. Das rückt sie begründungstheoretisch in die Nähe des Pflichtansatzes deontologischer Modelle (Kant). Das bedeutet, das sich Lebensschutzethik grundsätzlich gegen situative, relativistische, folgen- bzw. nutzenorientierte und zweckbezogene Abwägungen richtet, wie sie den teleologischen Modellen eignen (Utilitarismus). Der einzige Fall, in dem m. A. n. konsequentialitische Argumente verfangen, sind „Leben-gegen-Leben“-Dilemmata mit dramatischem Ausmaß. Vgl. zur Begründungstheorie


III.
Aus dem christlichen Menschbild und der begründungstheoretischen Verortung wird klar:

1. Beim Lebensschutz geht es primär um menschliches Leben.
Was ist „menschliches Leben“? Diese Frage klingt trivial, birgt aber die Spannung der Ursprungsdebatte. Fest steht: Es gibt, philosophisch betrachtet, keinen sinnvolleren Ursprungszeitpunkt als den Ursprung selbst – und der liegt nun einmal in der Zeugung. Alle anderen Zeitpunkte sind willkürliche Fristenlösungen, die auch anderes liegen könnten, ohne Verschlechterung der Argumentationslage. Wir wissen, dass der gerade gezeugte Mensch alles hat, was es braucht, um ein Mensch zu werden, und der Mensch hat alles, um Person zu werden. Der Mensch/die Person ist von Beginn an in potentia angelegt. Daher sollten wir das menschliche Lebewesen von Anfang an zuerst und vor allem als eine „potentielle Person“ betrachten, die im moraltheoretischen Kontext wie eine Person mit unbedingtem Lebensrecht zu behandeln ist, was eine Ausweitung des Lebensschutzes auf das ungeborene menschliche Leben zwingend macht. So sieht es die katholische Morallehre, so sieht es unser Grundgesetz. Das „Recht auf Leben wird jedem gewährleistet, der ,lebt’; zwischen einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben kann hier kein Unterschied gemacht werden“ (Urteil des BVerfG vom 25.02.1975, AZ 1 BvF 1/74 u.a. [BVerfGE 39, 1, veröffentlicht in: NJW 1975, 573]), denn das Grundgesetz enthalte keine „dem Entwicklungsprozess der Schwangerschaft folgenden Abstufungen des Lebensrechts“ (Urteil des BVerfG vom 28.05.1993, AZ 2 BvF 2/90 u.a. [BVerfGE 88, 203, veröffentlicht in: NJW 1993, 1751]). Vgl. Würdebegriff des Grundgesetzes

Warum „nur“ menschliches Leben? Das Menschenbild der abbildlichen Geschöpflichkeit des Menschen erhebt ihn ob seines engen Verhältnisses zum Schöpfer-Gott aus der Natur, weil es ihn mit Geist und Geschichtlichkeit begnadet sieht. Der Mensch hat Vernunft, das Tier und die Pflanze nicht. Damit wird der Mensch zum Herrscher über die (nicht-humane) Natur. Es gilt in diesem Kontext darauf hinzuweisen, dass eine Missinterpretation des schöpfungstheologischen Bildes der „Krone“ vorliegt, wenn man daraus eine uneingeschränkte, möglicherweise gar willkürliche Herrschaft ableiten will. Vielmehr ist „Krone“ ein Symbol für die Pflicht zu einer verantwortlichen Sicht auf die Mitgeschöpfe, ohne dabei die nicht bloß graduellen (wie etwa vom „evolutionären Humanismus“ behauptet), sondern prinzipiellen Unterschiede zwischen Mensch und Tier zu verwischen. Wenn wir uns also in einer „Demokratie von Mitgeschöpfen“ (Whitehead) sehen, müssen wir dafür Sorge tragen, dass diese nicht zur Anarchie gerät oder, weit schlimmer, zur Öko-Diktatur, die das unterdrückt, was sie zu schützen vorgibt: Leben. Es braucht vielmehr neue Tugenden, die „biophile und ökologische Grundhaltungen“ ansprechen – „Lebensförderlichkeit, Friedensbereitschaft, Schonung im Umgang mit der Natur, Rücksichtnahme auf die Interessen künftiger Generationen sowie Zivilcourage und Wahrhaftigkeit“ – und damit „Antwortmöglichkeiten auf die Herausforderungen der Zukunft bereitstellen“ (Schockenhoff). Vgl. zur Frage des „Speziesismus“: Personen, Menschen,Tiere - oder wer hat das Recht, Rechte zu haben?

2. Beim Lebensschutz geht es auf der Grundlage der Achtung der menschlichen Würde um den unbedingten Schutz des menschlichen Lebens.
Das menschliche Leben ist heilig, und daher zu achten und zu schützen – unabhängig von seinen konkreten Ausprägungen. Was bedeutet das? Und was bedeutet es nicht? Wofür und wogegen richtet sich Lebensschutz? Lebensschützer sind gegen Embryonen verbrauchende Forschung, Abtreibung, Sterbehilfe, Folter, Todesstrafe, Krieg und Umweltzerstörung. Sie sind für Frieden, die Bewahrung der Schöpfung, angemessene Arbeitsbedingungen, gerechte Verfahren in Justiz und Verwaltung sowie eine lebensförderliche Forschung.


IV.
Aus der Lebensschutzethik erwachsen, wie aus jeder anderen Ethik auch, moraltheoretische Probleme. Im Zentrum stehen das „Würde-gegen-Leben“- und das „Leben-gegen-Leben“-Dilemma. Beim Lebensschutz gibt es nichts zu „verrechnen“. Dennoch sehen wir uns mit Dilemmasituationen konfrontiert, in denen wir genau dazu gezwungen sind. Ich kenne die Warnungen vor einer konsequentialistischen Bilanzierung, wie sie etwa Robert Spaemann ausspricht („Die schlechte Lehre vom guten Zweck“), ich schätze sie und nehme sie sehr ernst. Vor allen Dingen die Ermahnung, Moral und Heil nicht zu verwechseln, und dementsprechend auch nicht ihre Resonanzkörper - philosophische Ethik und Geschichtsphilosophie. Nur: Es kann Situationen geben, in denen a) eine Entscheidung unvermeidbar ist (Trolly-Dilemma) und deswegen b) de facto abgewogen wird, sowohl beim Handeln als auch beim Unterlassen (wo auch die kluge spaemannsche Unterscheidung zwischen Handeln und Unterlassen nicht mehr verfängt, weil die Unterlassung unmittelbar wie eine Handlung wirkt). Hier ist die Frage, ob es wirklich gut im Sinne des Lebensschutzes ist, durch Unterlassen mehr Menschen in den Tod zu schicken als durch Handeln zu töten.

1. „Würde-gegen-Leben“
Gibt es Umstände, deren Würderelevanz derart ist, dass eine prinzipielle Erhaltung der Umstände durch Lebensschutz auf eine Würdeverletzung hinausläuft? Wenn sich menschliches Leben in der Biologie des Körpers erschöpft und zudem ein autonomistisches Würdeverständnis vorliegt – sicherlich. Wer jedoch den Transzendenzbezug des Lebens ernst nimmt und ein heteronomistisches (hier: theonomistisches) Würdeverständnis hat (wie die Mütter und Väter des Grundgesetzes), kann auch in dramatischen Lebensumständen, etwa schwere Krankheiten, keine Würdeverletzung erkennen, die durch Lebensschutz prolongiert würde. Sterbehilfe ist daher mit Lebensschutz nicht zu vereinbaren.

2. „Leben-gegen-Leben“
Ich möchte kurz zwei Problemfälle vorstellen, bei denen ich aus dem gleichen Lebensschutzgedanken heraus zu unterschiedlichen Konsequenzen neige.

Das erste Problem ist die Folter zur Rettung von Menschenleben. Diese „Rettungsfolter“ wird heiß diskutiert. Unstreitig zwischen den Teilnehmern der Debatte ist wohl nur, dass es sowohl im Bereich der Würde des Menschen liegt, nicht gefoltert zu werden, als auch nicht in einem Kellerraum oder Erdloch zu verdursten (als Entführungsopfer) oder von einem Sprengsatz zerrissen zu werden (als Terroropfer). Genau durch diese Einsicht ergibt sich ja das konfliktträchtige Dilemma. Es gibt verschiedene Gründe, trotz allem gegen Folter zu sein. Ich sehe vor allem zwei. Der erste Grund liegt in der Würdeverletzung durch Folter, die dem Prinzip der Achtung der Würde widerspricht, das schwerer wiegt als das Prinzip des Schutzes der Würde. Grundlage ist hier das autonomistische Menschenbild. Authentizität und Identität werden zur Richtschnur der Würde. Paul Tiedemann etwa bestimmt den Sachverhalt der Würdeverletzung als Eingriff in die personale Integrität, der geeignet ist, die „Authentizität und Identität [der Person] [zu] gefährden, ein[zu]schränken oder [zu] vernichten“. Tiedemann nennt seinen Ansatz „Identitätstheorie der Menschenwürde“. Wir sind es, die 1. „Ursprung unseres Willens und unserer Handlungen“ sind, das ist die Authentizität, und wir entwickeln 2. aus der Summe der authentischen Entscheidungen unsere Identität. Ist eines von beidem nicht möglich, so ist unsere Würde verletzt. Ferner macht er Würde an der Fähigkeit zum „inneren Dialog“ fest: Wird uns die Reflexionsmöglichkeit genommen, durch den rechtlichen Rahmen, also durch staatliche Unterdrückung, oder auch die faktische Lebensbedingungen, denen wir unterworfen und die geeignet sind, unsere Aufmerksamkeit zu kanalisieren (etwa im Falle von andauerndem Hunger), dann wird unsere Würde verletzt. Ganz besonders ist dies der Fall, wenn die Schmerzen und die Angst, die durch Folter erzeugt werden, unsere Gedanken binden. Wer gefoltert wird, kann keine moralischen Entscheidungen mehr treffen, weil er überhaupt keine Entscheidungen mehr treffen kann, die irgendetwas mit seiner Person (seinem Wollen und Wesen) zu tun haben. Das ist des Menschen unwürdig.

Diese Argumentation verbleibt auf der Ebene der Würde des Täters, ohne das Opfer zu berücksichtigen. Damit wird das „Leben-gegen-Leben“-Dilemma umgangen. Der zweite Grund, der dieses Dilemma annimmt, setzt auf die pragmatische Analyse der Erfolgsaussichten der Folter. Hier wird jener Unterschied zwischen „Handeln“ und „Unterlassen“, auf den Robert Spaemann verweist, relevant. Grundsätzlich sind Unterlassungsfolgen schlechter prognostizierbar als Handlungsfolgen. Man kann sehr genau sagen, was mit dem Täter passiert, wenn er gefoltert (wenn also „gehandelt“) wird, nämlich, dass der Staat dessen Würde verletzt, also seiner Achtungsverpflichtung nicht nachkommt. Man kann aber nicht genau sagen, was mit dem Opfer passiert, wenn es unterlassen wird, den Täter zu foltern. Es kann sich jederzeit eine neue Lage ergeben, in der die staatliche Gewalt zum Schutz des Opfers befähigt wird, ohne gefoltert zu haben, sei es, dass der Täter „freiwillig“ einknickt und aussagt, sei es, dass sich das Opfer befreien kann oder dass es im Rahmen der „herkömmlichen“ Polizeiarbeit gefunden wird. Mehr noch: Man kann nicht einmal sagen, was mit dem Opfer passiert, wenn der Täter gefoltert wird, denn der Erfolg der Folter des Täters mit Blick auf die Lage des Opfers ist sehr ungewiss. Dass dieses Argument so wenig Beachtung findet, verwundert sehr, weiß man doch seit Friedrich von Spees „Cautio criminalis“ (1631), dass Folter schon allein aufgrund der zweifelhaften Aussichten auf Erfolg abzulehnen ist, also wegen der zum Zeitpunkt der Folter nicht beantwortbaren Frage, ob man durch sie wirklich der Wahrheit näher kommt. Spee hält Folter zwar auch für moralisch verwerflich, doch zunächst für juristisch untauglich, weil sie in der Rechtspraxis zur fehlerhaften Beweisaufnahme führe. Dem Lebensschutz ist damit nicht gedient.

Das zweite Problem ist weitaus schwieriger. Ich denke an die Frage, ob es gerechtfertigt sein könnte, einen Krieg zu führen, um Menschenleben zu schützen bzw. zu retten. Dieses Thema ist als „humanitäre Intervention“ bekannt und seit der „Nicht-Intervention“ in Ruanda (1994) viel diskutiert worden. Die Literatur dazu ist längst unüberschaubar. Ich komme in dieser Frage zu einer sehr vorsichtig bejahenden Antwort für „Leben-gegen-Leben“-Dilemmata mit dramatischem Ausmaß. Ich verlasse damit – dessen bin ich mir bewusst – den geraden Weg der deontologischen Moraltheorie. Ich kann das hier nicht im Einzelnen darstellen. Vgl. dazu die folgende ausführliche historisch-systematische Abhandlung: Gerechter Krieg


V.
Zwei Schlussbemerkungen zu dem, was Lebensschutz nicht ist.

1. Lebensschutz ist kein Mittel zum Zweck
Lebensschutz ist Selbstzweck, weil das Leben eine Würde in sich trägt, die zu achten oberstes Prinzip jedes menschlichen Handelns ist. Die Lebensschutzethik dient dem Lebenserhalt und damit der bedeutendsten Ausprägung der Würde: der Möglichkeit, Würde zu erfahren und in die Welt zu strahlen, also: zu leben. Das gilt für alle Menschen aller Kulturen, Religionen und Rassen. Es geht nicht um den Fortbestand irgendwelcher Völker. Die katholische Morallehre und das katholische Naturrecht, die der Lebensschutzethik im Rücken stehen, sind in der klassischen Ausrichtung seit Thomas von Aquin am Menschen und nicht am Volk orientiert und zudem von einem Universalismus getragen, der jedem Partikularismus zuwider läuft.

2. Lebensschutz ist nicht engstirnig auf die „letzte Meile“ fixiert
Lebensschutz darf nicht auf den unmittelbaren Schutz menschlichen Lebens beschränkt bleiben (Lebensschutz 1. Ordnung), sondern muss sich darum kümmern, dass die Bedingungen für den Schutz menschlichen Lebens, vor allem für die Möglichkeit des Selbstschutzes, besser werden (Lebensschutz 2. Ordnung oder Meta-Lebensschutz). Dazu gehört, auf allen Ebenen die Würde des Menschen ins Zentrum zu stellen und alle sozialen, ökonomischen und politischen Maßnahmen daran auszurichten. Alles andere würde zu Recht als Heuchelei empfunden.



Bleibt mir zum Schluss, Dir, lieber Phil, ein großes „Danke schön!“ auszusprechen, für die Möglichkeit, in Deinem Blog ein paar Gedanken zum Lebensschutz zusammengefasst vorzustellen.