Genauer gilt wahrscheinlich eher I was big. Aber das ist eine andere Geschichte. Schon zu den Zeiten, als ich aktiver in der Kryptoszene war wollte ich eigentlich mal meine Gedanken zum Thema "Religion und Bitcoin" etwas niederschreiben. Wie es so oft im Leben ist kam ich nicht dazu. Jüngst hat der bekannte Bitcoin-Evangelist Jimmy Song sich ein paar Gedanken zum Thema "Bitcoin und Christentum" gemacht. Die beiden Artikel (einer über eine moralische Position zu Fiat-Geld, einer über einen Missionar, der auch auf Bitcoin setzt) sind zweifellos interessant, berühren aber meiner Meinung nach einen zentralen Punkt bzgl. Bitcoin und Theologie nicht. Entsprechend fühlte ich mich doch mal inspiriert, diesen zu Papier zu bringen.
Die drei Ämter Christi - Basis einer jeden Gesellschaft
Christus vereint in sich die drei Ämter des Priesters, des Propheten und des Königs. Diese drei Ämter sah man auch noch im Alten Bund. Es gab die Priester, die Könige - und den Einfluss von außen, den Prophet. Der Prophet, der dem König und dem Priester auch mal harsch die Meinung sagen konnte - ja, gegebenenfalls sogar musste. Dem Propheten, der, siehe Amos, zum Teil nicht einmal in Institutionen zu finden war.
Das Zusammenspiel der drei Mächte - der weltlichen in Form des Königs, der geistlichen in Form der Priester und der Stimme von außen in Form der Propheten - führte zu einer Stabilität, da sich die Mächtigen immer der Gefahr ausgesetzt sahen, harsche Kritik von den Propheten zu hören. Ohne die Propheten war weder vollständige geistliche noch weltliche Macht möglich - obwohl die Propheten eigentlich selbst keine wirkliche Macht hatten.
Ich finde, dass das grandiose Werk "Eine kurze Geschichte vom Antichrist" von Wladimir Solovjev diese Dreiteilung interessant aufzeigt: Johannes, der greise Prophet der Orthodoxie, der den Antichristen erkennt, Papst Petrus II., der Heilige Vater, welcher den Antichristen mit einem Bannfluch belegt - und der evangelische Professor Pauli, der mit seiner weltlichen Führungskraft wie ein König der Endzeit die übrig gebliebenen Gerechten um sich versammelt. Hier sieht man schon sehr gut, wie diese drei Ämter in einander greifen können.
Mit Pfingsten - so hoffte man zumindest - ging der Heilige Geist auf uns alle herab und so hatten wir alle an den drei Ämtern Christi Anteil. Happy End.
Ohne Propheten fehlt die Balance
Na ja, leider eben nicht. Wir sahen schnell, dass sich andere Lehren, sicherlich auch daran orientierend, bezüglich der drei Ämter durchsetzten. Im Mittelalter kannte man den Adel, den Klerus und die Bauern. Der Adel wird sicherlich mit dem Königtum Christi assoziiert sein, der Klerus mit dem Priesteramt - aber die Bauern werden wohl weniger mit dem Prophetenamt assoziiert worden sein.
Auch in moderner Zeit, gerade in unserer Demokratie, ist eine Gewaltenteilung zu sehen. Exekutive, Legislative und Judikative. Diese ist jedoch rein weltlicher Natur - und auch hier fehlt der Prophet, wie man allein an der Benennung der medialen Macht als "vierter Gewalt" anmerken konnte.
Das Beispiel der Medien als vierter Gewalt ist interessant, zeigt es doch an, warum die Israeliten nach Propheten auch jenseits offiziell benannter Propheten Ausschau hielten. Die Stimme Gottes konnte von jedem kommen, auch von einem Vieh- und Maulbeerfeigenzüchter kommen.
Auch wenn Zeitungen, wie auch der Buchdruck, Aufklärung oder !!!Science!! etwas ähnliches versprachen merkte man in diesen, plump ausgedrückt "weltlichen Prophetenämtern" eine Zentralisierungstendenz. Aus Buchdruck wurde schnell Propaganda und nicht die Möglichkeit, dass jeder seine Gedanken zu Papier bringen konnte. "Sich seines eigenes Verstandes bedienen" sollte weniger der, der dazu den Mut hat, sondern dessen Verstand mit der allgemeint akzeptierten Meinung konform war. Und Wissenschaft war von allem unabhängig - außer vom Geldgeber.
Exkurs: Wie funktioniert Bitcoin eigentlich?
Spannen wir mal den Bogen zu Bitcoin. Dieser Artikel soll keine Einführung in Bitcoin ersetzen, aber eine kurze Zusammenfassung, wie Bitcoin funktioniert, sei dennoch kurz gemacht:
Bitcoin verspricht, ein Geldsystem ohne Mittelsmann und ohne zentrale Entität zu sein. Das bedeutet, dass jeder Bitcoin-Nutzer seine Bitcoins jedem anderen Bitcoin-Nutzer schicken kann - und niemand kann was dagegen tun. Ebenso kann keine zentrale Macht an der Geldmenge herumspielen. Die Menge von Bitcoins, nicht nur von heute, sondern auch in der Zukunft, ist absolut und transparent limitiert. Es wird, so das Versprechen, nie mehr als 21 Millionen Bitcoins geben.
Bitcoin versucht dies dies über drei miteinander verwobene Mechanismen zu schaffen: Zum Einen sind die Daten dezentral verteilt abgelegt. Zehntausende von Servern, im Fachjargon gerne Bitcoin-Nodes genannt, speichern und synchronisieren ungefähr alle zehn Minuten den vollständigen Informationsstand, wem (bzw. welcher Adresse) wann wieviel gehört und wie viele Bitcoins es aktuell gibt. Realisiert wird dies zum Zweiten über eine Datenstruktur namens Blockchain, was man sich als eine verkettete Liste an Datenpaketen vorstellen kann. Ein neuer Block muss immer eine so genannte Prüfsumme des vorherigen Blocks enthalten, so dass hier ein Bezug zwischen dem jüngsten Block und dem vorherigen hergestellt ist - und dadurch man die Liste an Datenpaketen, welche neben einem Zeitstempel, den geschehenen Transaktionen und verschiedenen anderen Informationen enthalten, bis zum ersten Block, dem Genesis-Block zurückverfolgen kann.
Doch wie kommt es zu neuen Blöcken? Hier setzt der dritte Bitcoin defierende Mechanismus an: Über den so genannten Proof of Work versuchen verschiedene Maschinen weltweit, im Wettbewerb einen Block zu finden, welcher zur bisherigen Blockchain passt und dessen Prüfsumme seinerseits bestimmte Bedingungen befriedigt (das Target erreicht, um im technischen Sprachjargon zu bleiben). Der Proof of Work Mechanismus ist der dem sicherlich aus der Presse bekannten Mining zugrunde liegende Mechanismus. Diese Bedingungen - eine bestimmte Menge an Nullen, mit denen die neue Prüfsumme beginnen muss - wird seinerseits dynamisch an die Leistungsfähigkeit der Gesamtheit der Miner angepasst, dass, egal wie viele Miner miteinander konkurrieren oder wie gut die für das Mining verwendeten Maschinen werden, im Durchschnitt alle zehn Minuten nur eine Lösung gefunden wird. Der Proof of Work ist irreduzibel komplex, d.h. rechenintensiv und durch keinen genialen Rechentrick schnell zu lösen. Da er sehr rechenintensiv ist verbraucht er viel Strom - was den Minern als Mining Reward geschenkt wird. Der Mining Reward setzt sich aus den Transaktionsgebühren (sprich dem, was ein Nutzer für eine Transaktion bereit ist, an Gebühren zu zahlen) und einer festgelegten Menge an neuen Bitcoins zusammen. Die Menge an neuen Bitcoins pro gefundenem und der Blockchain hinzugefügtem Block halbiert sich alle vier Jahre, wodurch eine absolut definierte, endliche Menge an möglichen Bitcoins entsteht.
Node-Hoster, Developer und Miner - die drei Ämter Bitcoins
Auch bei Bitcoin haben wir eine Gewaltenteilung, die "drei Ämter Bitcoins":
- Es gibt die Entwickler, die Developer, welche das
WortProtokoll, welches Satoshi Nakamoto in seinem Bitcoin Whitepaper darlegte (Bei Interesse hier auf deutsch), implementieren. - Es gibt die Miner, die in einem Wettbewerb gegeneinander Energie dafür aufwenden, den nächsten zur Blockchain hinzuzufügenden Block zu finden.
- Es gibt die Node-Hoster, welche eine aktuelle Kopie der Bitcoin-Blockchain gespeichert haben.
Die Node-Hoster arbeiten mit einem von den Entwicklern geschriebenen Bitcoin Client. Das Gros nutzt hierbei den Bitcoin Core client, jedoch kann man zumindest theoretisch auch andere Clients von anderen Entwicklern nutzen.
Entwickler und Miner kann man, mit unterschiedlichen Aspekten im Hinterkopf, mit den Königs- und Priesterrollen ein wenig assoziieren. Entwickler sind Priester in der Hinsicht, dass sie das Protokoll, wenn man so will, auslegen, indem sie es in Code implementieren. Miner sind Könige, weil sie in der Form der neu generierten Bitcoins Macht haben.
Auch umgekehrt könnte man es betrachten: Die Entwickler als jene, die den Code implementieren und Warten, sind letztlich jene, die die weltliche Gerichtsbarkeit definieren. Die Miner opfern un für Bitcoin Energie, um so die Blockchain weiterzuschreiben.
Soweit zu Minern und Entwicklern - doch kann man Node-Hoster wirklich mit Propheten gleichsetzen?
Schon hier sollte man etwas betonen: Alle drei Gruppen - die Entwickler, die Miner und die Node-Hoster - teilen sich die Macht. Sicher, die Node-Hoster können nichts ohne einen Bitcoin Client machen, der zumindest kompatibel zum allgemein verwendeten Bitcoin Core Client ist. Ebenso sind nicht sie es, die die neuen Blöcke finden und den so genannten Mining Reward erhalten.
In der Hinsicht könnte man sich fragen, ob die Node-Hoster nicht sowas wie die Bauern des Mittelalters sind. Statt Feld pflügen muss man nun Blockchain speichern. Na toll.
Doch die Aufgabe ist deutlich mehr. Letztlich sind es die Node-Hoster, die durch die Wahl des Bitcoin Clients und der Variante sowohl Entwickler als auch Miner ein wenig kontrollieren können. Sie sind letztlich Propheten die durch ihre Entscheidung große Könige zu Fall oder große Priester zur Räson rufen können.
Diese Möglichkeit ist nicht nur hypothetischer Natur. Das letzte Mal, als sich die Macht der Node-Hoster zeigte, ist erst fünf Jahre her.
Shaolin Fry - der Amos der Blockchain-Geschichte
2017 war ein Jahr, welches stark durch die Blocksize Wars geprägt war. Die Blocksize wars waren eine Art Bürgerkrieg, welcher die gesamte Bitcoin-Commhunity bewegte. In diesem Disput ging es um die Frage, ob man die Größe der Bitcoin-Blöcke erhöhen sollte. Die Bitcoin-Blöcke sind auf rund 1 MB limitiert. Durch den endlichen Platz passen in die einzelnen Blöcke nur begrenzt viele Transaktionen. Dies sorgt für hohe Transaktionsgebühren bei einer hohen Nachfrage und dazu, dass manche Transaktionen ewig warten müssen, bis sie endlich in einen Block kommen und so Teil der Blockchain werden.
Eine mögliche einfache Lösung war die simple Erhöhung der Block-Größe. Sollte man beispielsweise 2 MB große Blöcke akzeptieren könnte man wenigstens doppelt so viele Transaktionen in der selben Zeit bearbeiten.
Auf den ersten Blick klang dies vernünftig. Mit größeren Blöcken kamen jedoch andere Schwierigkeiten. Zum einen war es auf die Weise auch aufwändiger, einen Block zu finden. Der ohnehin von wenigen Playern dominierte Mining-Markt wäre so noch etwas zentralisierter geworden. Zusätzlich würde ein vergrößern der Blockgröße aber auch bedeuten, dass die Speicher-Anforderungen für Node-Hoster größer werden würden. "Ein zusätzlicher Megabyte pro Block" würde, bei neuen Blöcken alle zehn Minuten, bedeuten, dass die Blockchain jede Stunde um sechs, jeden Tag um 144 MB und jeden Monat um ca vier Gigabye mehr wachsen könnte - mal ganz davon abgesehen, dass größere Blöcke auch ein Problem bei der Synchronisierung von neuen Blöcken über das gesamte Netzwerk bedeuten würden. Dies würde eine flächendeckende Adoption von Bitcoin-Nodes noch mehr aufhalten als es jetzt schon der Fall ist. Nutzer würden zu zentralisierten Diensten wie Coinbase gehen - und letztlich hätte man nicht viel mehr gewonnen als bei einer klassischen Bank.
Ein Alternativvorschlag war die Einführung des so genannten Segregated Witness-Protokolls. Es würde zu lange dauern, um hier auf die Details einzugehen, kurz gefasst wäre über dieses es möglich, quasi auf der Bitcoin-Blockchain aufbauende zusätzliche Protokollebenen zu definieren, welche, ebenfalls dezentral abgewickelt, Transaktionen quasi instantan ermöglichen. Das Ganze nennt sich, für jene, die hier gerne mal googeln wollen, Lightning Network.
Der Vorschlag stieß gerade den größeren Mining-Unternehmen nicht auf eine besondere Beliebtheit. Nicht nur die Möglichkeit, hier durch eine stärkere Zentralisierung an Macht zu akquirieren, war attraktiv. Gerade für das damals größte Mining-Unternehmen, Bitmain, würde Segregated Witness bedeuten, dass man eine Art bis dato ausgenutzte Lücke im System (Wer es genauer lesen will, kann dies hier tun) nicht mehr hätte ausnutzen können.
Wie man es auch in anderen Fällen kennt haben die unterschiedlichen Big Player versucht, einen diplomatischen Konsens zu finden. Und wie so häufig hieß diplomatischer Konsens, dass die Powers that be dabei als Gewinner heraus gingen, die breite Masse aber leer ausgeht. Es wurde deshalb ein absurder Kompromissvorschlag namens New York Agreement getroffen, bei der sich namhafte Vertreter der Miner und der Entwickler auf einen konservativen Zeitplan unter dem Namen Segwit 2x einigten. Er sah vor, dass man, plump ausgedrückt, irgendwann Segwit macht und die Blockgröße auf 2MB erhöht. Eine "salomonische" Enscheidung aus dem Blickwinkel der Großen. Dazu kam, dass gerade der Mining-Riese und Mining-Equipment-Hersteller Bitmain recht schnell den Eindruck vermittelte, dass es an dem Versprechen, Segregated Witness einzuführen, nicht festhalten würde.
Es sah also alles nach einem Sieg der Großen aus - bis zum BIP 148. Ein BIP - Bitcoin Improvement Proposal - ist, ähnlich wie in der Welt des Internets ein RFC, ein stark konkretisierter Vorschlag zur Verbesserung von Bitcoin. Der BIP 148 wurde von einem bis dato eher unbekannten Entwickler unter dem Pseudonym Shaolin Fry veröffentlicht. Er sah vor, dass Miner in den gefundenen Blöcken eine grundsätzliche Akzeptanz gegenüber der Protokolleinführung von Segregated Witness artikulierten. Taten sie das nicht würde per Protokolländerung kein Block von Minern, welche gegen Segregated Witness wären, akzeptiert werdern. Bist Du nicht für uns, bist Du gegen uns.
Viele Node-Hoster, die in den vorgeschlagenen Entwicklungen ein Risiko einer Zentralisierung von Bitcoin sahen, aktivierten BIP 148 in ihren Nodes. Das ganze nannte sich User-Activated Soft Fork oder kurz UASF, was man grob als Nutzeraktiviertes Protokollupdate übersetzen kann (Der Bitcoin-Aficionado verzeihe mir, dass ich nicht auf Soft Fork und Hard Fork eingehe. Gegebenenfalls schreibe ich dazu einen eigenen Artikel) Dies setzte die Miner - auch Bitmain - unter Zugzwang, schließlich war es besser, ein ggf etwas kleineres Stück vom Kuchen zu haben als gar nichts vom Kuchen zu bekommen. Der Rest ist Geschichte: Bitcoin aktivierte Segregated Witness (Was zu einem Schisma führte, aber das ist für einen anderen Blogbeitrag), was auch den Weg für das Lightning Network ebnete.
Shaolin Fry verschwand wieder in der Versenkung. Quasi als Abschied twitter er noch "Bitcoin UASF demonstrated that users armed with code are more powerful than a billion dollar ASIC manufacturing cartel. #nodesrule" ("Bitcoin UASF zeigte, dass Nutzer mit Code bewaffnet mächtiger sind als ein milliardenschwerer Hersteller von Mining Equipment" frei übersetzt).
Bitcoin - ein Modell-Protokoll, welches Propheten berücksichtigt
Doch irgendwie erinnert sein Auftreten an das der Propheten. Er sagte das, was zu sagen war und trat gegenüber den Mächtigen seiner Zeit auf. Er korrigierte, wo jene anderen großen Ämter im Bitcoin-Ökosystem versagten. Wie eine Stimme in der Wüste rief er auf, Segregated Witness die Straßen zu ebenen.
Bitcoin kann hier auch der Menschheit zeigen, wie diese unterschiedlichen Ämter - König, Priester und Prophet, zusammenarbeiten können, ja, müssen. Wie ich an anderer Stelle schrieb müssen die Mächtigen in der Welt ein Ohr für das von außen kommende Korrektiv haben - und gegebenenfalls ihr Handeln korrigieren. Leider ist es jedoch aktuell so, dass niemand auf das "Mene, Mene Tekele Upharsim" an der Wand der neuen Belsazaars achten würde. Die Propheten würde man nicht anhören, sie hätten kein Forum, über das sie angehört werden würden.
Und selbst wenn sie es hätten - irgendein Nischenforum ist ein Stammtisch. Dies würde nichts bewirken.
Bitcoin zeigt hier eine Alternative auf: Wenn die Kommunikations- und Wertschöpfungsprotokolle der Welt so ausgelegt werden, dass jeder theoretisch seine Stimme erheben kann - auch im Schutz der Anonymität und dass ein danach Handeln auch für die geistige und weltliche Macht Konsequenzen hätte, dann würden die Stimmen von Außen, die Seher und Propheten der heutigen Zeit, wieder relevanter sein. Man würde auf sie hören. Denn man würde wissen - sie ignorieren kann man nicht.